カフカの『城』とは何か ・・・ 『城』を求めての果てしなき旅(続稿)

 Interpretation(続き)
Dabei bleiben die Machtmittel, die dem Schloss zur Verfügung stehen, unklar. Die Dorfbewohner leben in einer angstgeladenen, beklemmenden Atmosphäre, sie bringen den Beamten eine scheinbar völlig unangemessene Ehrfurcht entgegen, die K., der die Verhältnisse nicht kennt, unverständlich findet. Da die Geschehnisse, die uns ein personaler Erzähler berichtet, ausschließlich aus der Perspektive K.s geschildert werden, teilen wir als Leser sein Unverständnis gegenüber der Furchtsamkeit der Dorfbevölkerung und den beständig behaupteten Unmöglichkeiten. Warum sollte es unmöglich sein, jemals das Schloss zu betreten oder mit dem Beamten Klamm zu sprechen? Warum sollte das, was die Beamten tun, von derartiger Wichtigkeit sein, dass sie sich unmöglich um die Angelegenheiten K.s kümmern können? Die Regeln, die in dieser Welt gelten, bleiben rätselhaft, und dennoch muss sich K. mit deren Existenz abfinden.
Die angsterfüllte Atmosphäre ist um so verwunderlicher, als wir von keinen drakonischen Strafmaßnahmen des Schlosses erfahren. Das einzige Beispiel einer Bestrafung ist das der Barnabas-Familie – doch bleibt in diesem Fall unklar, ob überhaupt eine Bestrafung seitens des Schlosses stattgefunden hat. Denn dass die Dorfbevölkerung die Familie des Barnabas wie Aussätzige behandelt, scheint nicht auf Befehl des Schlosses zu geschehen. Offensichtlich ist dies lediglich die Tatsache geschuldet, dass die Handlungsweise Amalias im Dorf bekannt geworden ist: Sie hatte den Brief eines Beamten, der sie zur sexuellen Gefügigkeit aufforderte, zerrissen und dem überbringenden Boten ins Gesicht geworfen. Die Dorfbewohner wollen aber mit Leuten, die es sich mit dem Schloss verderben, nichts mehr zu tun haben. Ihre Angst vor der Strafe bewirkt selbst die Strafe des sozialen Ausschlusses, ohne dass eine Sanktion seitens des Schlosses überhaupt nötig wäre.
In den Augen K.s (und damit des Lesers) erscheint das Verhalten Amalias freilich völlig gerechtfertigt – schließlich hat ihr ein Beamter einen unsittlichen Antrag gemacht, und sie hat nichts weiter getan, als sich dagegen zur Wehr zu setzen. Für die Dorfbewohner ist dies ein unglaublicher und inakzeptabler Ungehorsam, denn es ist für sie selbstverständlich, jedem Wink eines Beamten aus dem Schloss zu gehorchen.
Nicht weniger rätselhaft als die kleine Welt von Dorf und Schloss ist die Figur des K. selbst. Sein voller Name wird nicht genannt, so, als müsse er aus Gründen der Diskretion verschwiegen werden oder als sei er ohnehin schon bekannt und könne daher aktenmäßig abgekürzt werden. Wir erfahren nichts von seiner Vorgeschichte, außer, dass er als Kind einen großen Ehrgeiz darin entwickelt, die Friedhofsmauer zu erklimmen, was ihm schließlich auch gelingt. Seine Behauptung, er sei Landvermesser und vom Schloss bestellt, ist offenbar eine bloße Schutzbehauptung, um seine Anwesenheit im Dorf zu rechtfertigen. Sein Pech ist, wie er später feststellt, dass er gleich am ersten Abend die Aufmerksamkeit der Behörden erregt, andernfalls wäre er wohl irgendwo als Knecht untergekommen.
Befremdlich und unerklärlich ist allerdings, dass die Behörde sofort auf die Behauptung, er sei Landvermesser, eingeht. Es mag sein, wie der Gemeindevorsteher K. erklärt, dass alles nur auf einen Irrtum beruht und die Behörde tatsächlich einen Landvermesser angefordert hat, wenngleich es nichts für ihn zu tun gibt. K. fasst allerdings die erste Reaktion von seiten des Schlosses ganz anders auf; er überlegt sich, als er glaubt, zum Landvermesser ernannt worden zu sein:
"Das war einerseits ungünstig für ihn, denn es zeigte, daß man im Schloß alles Nötige über ihn wußte, die Kräfteverhältnisse abgewogen hatte und den Kampf lächelnd aufnahm. Es war aber andererseits auch günstig, denn es bewies, seiner Meinung nach, daß man ihn unterschätzte und daß er mehr Freiheit haben würde, als er hätte von vornherein hoffen dürfen. Und wenn man glaubte, durch diese geistig gewiß überlegene Anerkennung seiner Landvermesserschaft ihn dauernd in Schrecken halten zu können, so täuschte man sich; es überschauerte ihn leicht, das war aber alles."
Welches Spiel wird hier gespielt? Ist K. ein Wirrkopf, der völlig zu unrecht glaubt, eine Behörderde einen Kampf mit ihm aufnehmen, nur weil sie ihn für einen Landvermesser hält, der er nicht ist? Offensichtlich nicht, denn was hier noch wie Verfolgungswahn wirkt, ist in Wahrheit gut begründet: Die Behörde scheint seine Lüge durchschaut zu haben und spielt das Spiel mit. Indem die Schlossbehörde ihm die beiden Gehilfen schickt, die behaupten, seine alten Gehilfen zu sein, geht sie scheinbar auf seine Fiktion ein. K. lässt sich dadurch nicht überrumpeln, sondern fragt die vermeintlichen Gehilfen nach den Instrumenten, die er ihnen angeblich gegeben hat, und ob sie etwas von Landvermessung verstehen, was aber nicht der Fall ist. K. weiß also, dass Artur und Jeremias nicht seine alten Gehilfen sind, denn er hatte nie welche; die Behörde weiß das ebenfalls, da sie die beiden Männer schließlich geschickt hat, tut aber so, als wäre sie überzeugt, es mit einem Landvermesser und seinen beiden Gehilfen zu tun zu haben. Schließlich wird K. auch noch für seine Landvermessungsarbeiten belobigt, obwohl man im Schloss doch offensichtich weiß, dass er keine solchen Arbeiten ausführt. Möglicherweise hat K. recht, und die Behörde will damit ihre Überlegenheit demonstrieren. Auch wenn man den von Kafka geplanten Schluss in Betracht zieht, den er seinem Freund und Herausgeber Max Brod mündlich mitgeteilt hat, bleibt unklar, ob die Behörde hier wirklich einen Kampf aufnehmen wollte: Einerseits spricht dafür, dass K. zuletzt ja wirklich der Unterlegene ist, da er an Entkräftung stirbt, andererseits wird ihm von der Behörde schließlich der Aufenthalt bewilligt.
K.s Verhaltensweise bleibt nicht weniger dunkel: Der oben erwähnten Textstelle zufolge hat er ja anfangs nur geplant, als Knecht sein Auskommen zu finden. Seine Halsstarrigkeit erinnert ein wenig an Kleists Michael Kohlhaas: Er spricht davon, dass er endlich sein Recht bekommen will, als Landvermesser zu arbeiten – nur dass er kein Landvermesser ist und ihm also kein solches Recht zusteht, unterscheidet ihn grundlegend von Kleist Figur. K. ist keineswegs sympathisch in seinen Methoden, auch wenn man als Leser im Kampf gegen die Behörde auf seiner Seite ist. Dass er Frieda nur benützt, um an Klamm heranzukommen, wie die Wirtin des Brückenhofs glaubt, ist nicht unwahrscheinlich. Umgekehrt ist die Überzeugung Pepis, dass Frieda ihn benützen wollte und die Affäre aus Berechnung begonnen hat, offensichtlich absurd. Sie zeigt allerdings, in welchem Ausmass die Dorfbewohner von paranoiden Vostellungen besessen sind. Jeder, nicht nur K., scheint in der Verhaltensweise des anderen und besonders in der der Behörde eine perfide Strategie zu vermuten; ganz gleich, ob das der Fall ist oder nicht. Es ist eine Welt des Misstrauens, der Angst und der Kälte. Alles scheint durch genaue Vorschriften reglementiert, bei deren Übertretung Fürchterliches droht; der vorauseilende Gehorsam ist zur allgemeinen Tugend perfektioniert worden, ohne dass die implizit drohenden Strafen je eingetreten wären.

Die Frage, was durch das Schloss und seine Behörde eigentlich verkörpert wird, hat viele Interpreten beschäftigt. Wichtig ist, wie bei der Deutung aller Werke Kafkas, dass man nicht versucht, eine eindeutige Zuordnung vorzunehmen, so, als würde das Schloss einfach etwas Bekanntes symbolisieren, etwa das reale Behördenwesen zu Kafkas Zeit oder gar Gott. Vielmehr scheint es um abstraktere Strukturen zu gehen, die mit dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zu tun haben. Es geht dem Individuum darum, einen Platz in der Gesellschaft zu finden und als ihr Mitglied aufgenommen zu werden. Kafkas Werk lässt die Alpträume eines Menschen Realität werden, der das Gefühl hat, ihm werde die fundamentale Anerkennung als Mitmensch verweigert. Diese eigentlich selbstverständliche Anerkennung muss erst von einer mächtigen Behörde ausgesprochen werden, die allerdings durchschaut, dass man nur ein ungebetener Gast ist, der sich mit falschen Angaben in die Gemeinschaft einschleichen will. Die Welt, die Kafka darstellt, versinnbildlicht also die Empfindung, nicht dazuzugehören und die eigene soziale Identität nur durch Vorspiegelung falscher Tatsachen erlangt zu haben. Es sind die Gefühle eines Menschen, der zutiefst am Wert seiner Person zweifelt, die hier ins Bild gesetzt werden. Dazu kommt eine zwanghafte, geradezu paranoide Komponente: Alles wird von einer Behörde überwacht, die nach ihrem Belieben über die Menschen verfügt, für die sie umgekehrt aber völlig unzugänglich bleibt. Des einzige Ziel, dass zu verfolgen sich lohnt, ist, in das Innere dieser Behörde zu gelangen und dort endlich die begehrte Anerkennung zu bekommen.
Sicherlich ist Kafkas Literatur von seiner individuellen Neurose geprägt, doch es wäre verfehlt, sie darauf reduzieren zu wollen. Kafkas Werke drücken etwas aus, was sehr viele, wenn nicht die meisten Menschen der modernen Gesellschaft fühlen: eine fundamentale Unsicherheit gegenüber den Anderen und einen nagenden Zweifel am eigenen Wert und am individuellen Recht auf Anerkennung.